Auszug

Romanauszug aus dem Kapitel: Die Rache der Adrasteia

Plötzlich wurde ich unsanft geweckt. Brutale Pranken rissen mich hoch und saurer Alkohol-Dunst wehte mir in die Nase. Etwas Schweres lastete auf mir und hielt meinen Leib zwischen Beinen auf die Bootsplanken gedrückt. Ich erkannte im Dunkeln die Umrisse einer bärtigen Fratze.  „Welch´ schöne Überraschung; was haben wir denn hier? …“

Es folgten undefinierbare Laute. Der Dämon sprach unsere Sprache schlecht, mit dem Akzent der Achaier. Ich wollte ihm ins Gesicht schlagen, erreichte aber nur sein Barthaar und packte hinein. Wie schaffte er es meinen Arm so zu verdrehen? Ich spürte einen stechenden Schmerz in der rechten Schulter, ließ reflexartig wieder los und wollte schreien. Da drückte er meinen Unterkiefer herunter, presste mir seinen Daumen gegen den Oberkiefer. Brutal wurde mir ein schmutziger Lappen in den Mund gestopft. Mein Schutz-Amulett riss man mir vom Hals, und es fiel ins Boot. Ich bekam keine Luft und würgte qualvoll. Der primitive Unmensch schleifte mich an den Haaren zur Mitte des am Strand vertäuten Fischerbootes. Mit aller Kraft setzte ich mich zu Wehr, richtete aber nichts aus, da mein rechter Arm ausgekugelt war. So war ich absolut hilflos!

Schlimmer noch, der Rohling behielt mich fest im Griff. Über mir hockend, fixierte er mich auf dem Boden, riss mir die Kleidung von Leib und warf sie mir aufs Gesicht. In panischer Todesangst fürchtete ich zu ersticken, konnte nicht sehen, was weiter geschah.

„Welch junges, unverbrauchtes Fleisch habe ich hier für uns entdeckt“, vernahm ich, ohne zu begreifen.

Unvermittelt packte ein weiterer Fremdling meine Beine und riss diese weit auseinander. Zwischen zerknäueltem Stoff er­haschte mein Auge einen Blick auf das Geschehen. Der Feind öffnete sein Gewand und ich erkannte seinen riesigen Phallus.

„Ich zuerst …“, mein erster Angreifer verlagerte sein Gewicht, kniete zwischen meinen gespreizten Beinen und stemmte seine Klauen auf meine Hüfte. Bevor ich mich aufrichten konnte, fesselte der zweite Fremde meine Arme über dem Kopf. Das Seil schnitt in meine Haut und meine Schulter brannte. Plötzlich rammte man mir etwas Hartes in die heilige Furche meines Leibes. Ein wilder Schmerz stach bis tief in meine aufgerissene Mitte.

Dann schwanden mir die Sinne. In tiefer Finsternis erschien mir die Gestalt einer Schleier­eule, die mit weiten Schwingen auf mich zu flog. Schwarzes Gefieder umhüllte mich. Dann landete sie in einem dunklen Eschenbaum. Ich erkannte die Gestalt einer üppig-schönen Frau, aus sich selbst heraus leuchtend. Um ihren Nacken lag eine gefährlich große Schlange, die sich um ihre Arme wand. Ihr um die Taille gebundener Gürtel bestand aus ineinander verflochtenen Vipern. Flammende Eschenzweige krönten ihr Haupt, dessen schwarz glänzende Haarsträhnen aus lebenden Schlangen bestanden. Die dunkle Schönheit war von einer zeitlosen, strengen Symmetrie, mit schlanken Gliedern und olivfarbenem Teint. …..

Die Reise nach Kaptara

Schon lange hegte ich in meinem tiefsten Inneren die Sehnsucht Kalliste eines Tages zu verlassen und eine Schiffsreise zu unternehmen. Mit einer Fahrt nach Kaptara wäre der erste Schritt getan, die weite Welt zu entdecken. Die Vorfreude auf das Abenteuer vertrieb all´meine Sorgen. Die Tatsache, dass ich gerade auf der Flucht war und das Schicksal mir übel mitgespielt hatte, wollte ich nicht mehr wahrhaben. Wir vermieden die Nähe der Hafen­siedlung, um nicht entdeckt zu werden. Als uns einmal eine Gruppe Händler mit beladenen Eseln entgegen kam, entfernten wir uns vom Weg und nahmen einen Trampelpfad.

Endlich lag die Hafenbucht Stronghyle mit fünf stattlichen Schiffen vor uns. Phanes deutete auf dass größte von ihnen, das im äußersten Westen vor Anker lag. Freudig erregt betrachtete ich den herrlichen Frachter, der uns in die weite Ferne bringen würde. Mein Begleiter wies auf einen Pfad, der hinunter zum steinigen Strand führte. Die Rosenfinger der Hemera schenkten der Küste ein wunderbares Farben­spiel und das vertraute, unendliche Antlitz der Thalassa spiegelte die Schönheit der Morgenröte.

„Hemera, du himmlische Schönheit!“, Phanes nahm kurz die Gebetsstellung ein und ich folgte seinem Beispiel. Am Horizont erstrahlte das blaue Meer in fließenden Farben, Möwen schrien.

Die aigypitische Baris sandte ein Landungsboot aus, uns abzuholen. Ich betrachtete den schön konstruierten hölzernen Schiffskörper, der wie eine halbierte flache Mandelschale auf den sanften Wellen schaukelte. Der bunt bemalte Rumpf war mit den magischen Augen ausgestattet, die einem Schiff den rechten Weg weisen. Sein Bauch war insgesamt größer und stärker gebaut als bei den modernen Schiffen unseres Volkes. Gleichsam war der Bug stark überhöht und gekrümmt, um das Wasser zu teilen und die Fahrt zu beschleunigen. Er lief in einer Spitze aus, die einer Blume ähnelte. Die Heckfigur trug einen Katzenkopf, das würde uns Glück bringen.  

Im weiten Innenraum gab es ausreichend Platz für die Ladung. Phanes erklärte, der Aigypter hätte hauptsächlich Kleider und Stoffe an Bord, die bei den dortigen Frauen begehrt waren. Der Mast in der Mitte war noch nicht aufgerichtet, da der Wind hier in Landnähe zu schwach war. Nicht immer konnte die Kraft des Windes den Seefahrern die Arbeit erleichtern, wehte er doch oft aus der falschen Richtung. Die achtundzwanzig Ruderer saßen auf vierzehn Bänken, mit dem Rücken zum Bug und mit Blick auf den Steuermann im Heck. Ihre langen Ruder waren flexibel an Dolmen montiert, ebenso wie die beiden großen Steuerruder, mit deren schrägen Stangen das Fahrzeug gelenkt wurde. Die Besatzung war entsprechend der aufwendigeren Konstruktion dreimal so stark wie bei einheimischen Schiffen.

Als wir uns näherten, winkte der Kapitän zur Eile, obwohl es noch früh am Morgen war. Der Ruderer des kleinen Landungsbootes steuerte auf uns zu. Die Flut hatte gerade ihren Höchststand überschritten und die Ebbe setzte ein. Wir zogen unsere Gewänder aus und packten sie in die Rucksäcke. Dann nahmen wir die weichen Lederschuhe von unseren Füßen und wateten ein paar Schritte in die schwachen Wellen, über glatte Kiesel hinweg. Der Boden fiel hier steil ab, daher blieben wir im knie­hohen Wasser stehen und warteten, bis das Boot uns erreichte. Der Matrose, der uns zum Besteigen der schwankenden Planken die Hand reichte, war ein großer muskulöser Aigypter, mit einem einfachen, vor Dreck strotzenden Lendenschurz bekleidet. Sein glattes, pesch­schwarzes Haar war mit einer Kruste von Meersalz überzogen. Während er mit uns zurück ruderte, sprach er nur das Nötigste. Von der Seite aus betrachtet, hatte die Barke mit ihrem gekrümmten Kiel die Form der Mondsichel. Heck und Bug waren mit bunten Mustern bemalt.

Nachdem das Beiboot seitlich angelegt hatte, half man uns, über eine Jakobsleiter an Bord zu steigen. Dort wurden wir vom Kapitän empfangen. Er begrüßte uns in unserer Sprache und stellte sich mit seinem aigyptischen Namen vor. Es war ein zierlicher älterer Herr, seiner feinen Kleidung nach von edlem Geschlecht. Phanes erklärte ihm, ich sei seine jüngere Schwester. Der Kapitän musterte mich mit wachem Blick und wies uns an Deck einen Platz am Bug zu. Dort gab es eine freie Ecke, in der wir uns niederließen. Der Kapitän selbst begab sich wieder zum Heck auf eine Position, von der aus er alles überschauen konnte. Er gab einige knappe Befehle. Der Steuermann bediente das große Ruder. Das Landungsboot wurde derweil auf das Oberdeck gehievt, der schwere, an einem Tau befestigte Ankerstein hoch gezogen.

Die Ruderer waren offenbar Sklaven, davon fast die Hälfte Schwarze. Sie beförderten die Galeere unverzüglich hinaus auf See. Wir nahmen direkten Kurs auf die Insel Kaptara, die man in der Ferne sehen konnte. Die Sonne des Helios spendete zunehmend Wärme, die sich schnell zur Hitze steigerte, da zunächst kaum Wind aufkam. Ein wunderbarer Frühlingstag, der uns einen Vorgeschmack auf den Sommer gab. Phanes bedeckte seinen hellhäutigen Körper mit Kleidung, während mir die Sonne wenig Probleme bereitete. Allerdings mussten wir mit unseren Wasservorräten haushalten. Seeleute sind daran gewöhnt wenig zu trinken. Es roch bald intensiv nach Schweiß, was mich aber nicht störte. Ich habe nie die angenehmen Düfte unserer Parfüms für so wesentlich gehalten wie Mutter oder Großmutter. Schweiß und Gestank gehören zu jeder Arbeit und erst recht zu einem Abenteuer auf See.

In unserem Volk ist das Rudern eine so hoch angesehene Aufgabe, dass sich überwiegend freie Männer für eine Saison bei einem Kapitän verpflichten und dafür gut entlohnt werden. Unsere Frachter und deren Befehlshaber stehen alle im Dienste des Tempels, ebenso wie die Händler, die für ihre Ware verantwortlich sind und bei Verlusten keine Ent­schädigung erhalten. Bei den Aigyptern vermisste ich den Gesang, den unsere Seeleute immer zu Ehren von Tethys und Okeanos anstimmen, wenn sie in See stechen. Es wurde nur der Takt geschlagen.

Außer uns gab es noch drei weitere Passagiere. Es waren aigyptische Priester, davon einer ein junger Novize im Alter von Phanes. Der älteste Aigypter konnte sich sogar mit einigen Worten unserer Sprache verständlich machen. Wir erfuhren, dass die drei von einem Besuch unserer Bibliothek zurückkehrten.

„Für die Verständigung mit Menschen anderer Sprachen muss es sehr nützlich sein, wenn bei einer Priesterin die Gabe der Empathie ausgebildet ist“, dachte ich.

Die ersten Stunden war ich intensiv mit Beobachtungen der Arbeit der Seefahrer beschäftigt, besonders als endlich das große Rahsegel gesetzt wurde. Ich sah den Ruderern zu und fühlte mich von einem dunkelhäutigen Mohren, der mich mit Grimassen zum Lachen brachte, angezogen. Gestikulierend machte ich ihm verständlich, dass ich ihn gerne ablösen würde. Mit einem Blick auf den Steuermann überließ er mir das Ruder. Ich hätte nicht gedacht, dass diese Arbeit so anstrengend ist. – Plötzlich spürte ich den klebrigen Phallus des Mannes, der hinter mir stand, im Rücken und zuckte voller Ekel zurück. Als ich mich umdrehte und den Mohren entsetzt ansah, grinste dieser nur blöde. Da merkte ich, daß er unsere Sitten nicht kannte sein Geist einfältig war. Spontan stieß ich ihm kurz und nur leicht meinen Ellbogen in seine Weichteile. Um ihn vor Strafe zu schützen, ging ich über diesen – mir sehr unangenehmen Vorfall – hinweg, indem ich schnell weiter ruderte. Er krümmte sich zwar leise stöhnend, aber, indem ich mich entschuldigte, wirkte es auf andere so, als hätte ich ihn versehentlich getroffen.

Schnell erschöpft, wollte ich meine Schwäche nicht zeigen, bis schließlich der Kapitän eingriff und den Ruderer wieder an seinen Platz wies. Er erlaubte mir statt dessen aber, eine Zeit lang die Tampen des doppelten Rahsegels zu halten, die, an einem Rundholz befestigt, das rechteckige Segeltuch der Windrichtung anpassten. Als starke Böen einsetzten und die Wellen höher wurden, schickte der Kapitän mich wieder an meinen Platz. Durch den auffrischenden Wind, der das Segel blähte, nahm das Schiff immer mehr Fahrt auf, und zwei Ruderer kümmerten sich um die Trimmung. Ich bewunderte die Geschicklichkeit, mit der ein Matrose hinauf kletterte, als sich ein Seil verheddert hatte. Der Kapitän meinte, dass wir die Überfahrt nun bis zum Abend schaffen könnten.

Phanes versuchte, sich mit dem Priesterlehrling zu unterhalten. Sie benutzten einige allgemein bekannte aigyptische Begriffe und die Zeichensprache. Wenn mein gesprächiger Begleiter nicht mehr weiter wusste, bemühte ich mich ebenfalls mit Händen und Füßen, eine Verständigung herzustellen. Auf diese Weise wurde die Überfahrt noch kurz­weiliger. Schließlich gesellte sich der Kapitän zu uns und half bei der Übersetzung. Wir erfuhren, dass ein Teil der Schiffsbesatzung aus Sklaven des Pharaonensohns bestand, die an Bord gut verpflegt wurden. Der Pharao hatte seine Macht verloren, da Aigypten seit über einer Generation von Eroberern aus Asia regiert wurde, die hohen Tribut forderten. Die neuen Könige, die nun die Macht über Aigypten mit Waffengewalt verteidigten, waren Söhne kulturloser Wüstenstämme und nannten sich Hyksos. Diese Zustände riefen unter den Priestern Empörung hervor. Als niemand zuhörte, vertraute ich meine Meinung Phanes an:

„Warum besaß der rechtmäßige Pharao nur so viele Sklaven und ließ sie nicht als Freie gegen die fremden Herrscher kämpfen? Die Große Mutter lenkt sein Schicksal, ihn Demut zu lehren.“

Der Gefährte stimmte mir zu, indem er den Kopf senkte.

Im Laufe des Tages näherten wir uns kontinuierlich dem ausgedehnten Lande Kaptara, dessen Silhouette sich zusehends vergrößerte, je näher wir kamen, und dem unser Blick bald weder nach Osten noch nach Westen ausweichen konnte. Die grüne Insel der goldblütigen Göttin Rheia zeigte uns zuerst ihre überwiegend bewaldeten Gebirgszüge. Noch nie hatte ich ein so großes Landgebiet der Mutter Gaia erblickt. Andächtig bestaunte ich die reiche Schöpfung der einen Göttin mit den unzähligen Namen, die wir Menschen ihr geben. Mein Blick fiel auf Phanes, der mich überraschte, weil er mir aus der Seele sprach:

„Liebste Arte, sieh die Größe und Schönheit ihrer Schöpfung. Welche Bedeutung kann dagegen ein Fluch der Adrasteia haben? Selbst wenn die Tat deiner Großmutter das Gleichgewicht unserer Gemeinschaft bedrohen könnte, hast du dein Erbe sicher schon durch deine Leiden gesühnt. Jetzt eröffnet sich für dich die Chance, dass dein Schicksal einen neuen Kurs nimmt.“

„Ich hoffe so sehr, dass die Schicksalsgöttinnen mir und meinen Basen erlauben, einmal mit einem Gatten glücklich zu werden“, wünschte ich inbrünstig, während ich mich mit Phanes über die Reling beugte.

„Die Große Mutter liebt dich und sie wird dein Verderben nicht zulassen, denn nur für sie ist jedes einzelne ihrer Kinder unersetzlich. Nicht in der dritten Generation, sondern bei der Schuldigen selbst sollte die Sühne erfolgen. Im Namen ihrer mütterlichen Liebe beschützt die Allumfassende dich, selbst wenn es deine Aufgabe sein sollte, den schreck­lichen Fluch der Rachegöttin von eurer Familie abzuwenden.“

Hinter diesen Worten spürte ich tief in meinem Herzen die starke Frömmigkeit meines neuen Freundes.

Die fremden Priester unterhielten sich ebenfalls über das majestätisch vor uns liegende Eiland, von den Aigyptern als wichtiger Handelspartner geschätzt. Es sollte hier wunder­bare Wälder geben, deren wertvolle Bäume für den Schiffsbau genutzt werden.

Schon konnten wir einen Hafen mit den Häusern einer Stadt erkennen. Wir passierten die unbewohnte kleine Insel Dia. Dahinter musste der Hafen von Amnisos liegen! Die Siedlung war viel weiträumiger als Arepirena. Als wir uns näherten, stellte ich enttäuscht fest, dass Amnisos nicht annähernd so schön ist wie unsere Heimatstadt. Es gab hier nur wenige Villen, aber unzählige weit verstreute Hütten. Zwar war der Hafen viel größer als der von Arepirena, er hatte aber nicht annähernd die Kapazität und die geschützte Lage des inneren Beckens der Stronghyle. Es gab unzählige Fischerboote, und sieben große Schiffe lagen vor Anker. Ein Fahrzeug war auf den Strand gezogen worden, ob für einen längeren Aufenthalt oder eine Reparatur, war nicht erkennbar. Das Hafengebiet war von emsigem, lauten Getümmel erfüllt.    

Als unser Kapitän eigenhändig den Ankerstein ins Wasser sinken ließ, war die Sonne bereits hinter den Bergen untergegangen und ließ das Meer kurze Zeit noch in Türkis-Tönen erstrahlen. Meine erste Verwirrung durch die vielen neuen Eindrücke wich neuer Zuversicht, als mir die stetige Präsenz der silberfüßigen Meeresgöttin Thalassa vor Augen stand, die hinter ihren sich wandelnden Farben, Formen und Gerüchen überall die gleiche bleibt. Bevor wir uns trennten, lud der junge Aigypter uns höflich ein, ihn in seinem Tempel zu besuchen. Phanes wirkte leicht beklommen, als er mir noch an Bord genaue Instruktionen gab:

„Wir sollten die Stadt so schnell wie möglich verlassen, damit später niemand unserer Spur folgen kann.“

Es fiel mir unerwartet schwer, mich von unseren Mitreisenden und dem Kapitän zu verabschieden, symbolisierte das Schiff doch unsere letzte Verbindung zur Heimat.

Sobald wir über eine Rampe das Land betreten hatten, wurden wir in einen Strom von Menschen gesogen, der zwischen Hafen und Stadt zirkulierte. Ich kam mir plötzlich unter unzähligen Fremden sehr klein vor. Nur ein Teil dieser Leute sprach unsere Sprache; ich sah viel mehr un­kultivierte Achaier als bei uns. Wie vereinbart, blieben wir dicht beieinander und orientierten uns westlich am Meeressaum entlang. Es gab hier viel mehr ausgedehnte Strände als auf Kalliste und der Sand war weiß. Nachdem wir die letzten Häuser der Siedlung weit hinter uns gelassen hatten, stieg bereits die zunehmende Mondin auf. So konnten wir noch eine Strecke in ihrem weißen Licht zurücklegen, ehe wir beschlossen, in einer sandigen Bucht zu lagern.

Bevor wir uns zum Schlafen niederlegten, wollte ich die Gelegenheit nutzen, mich zu reinigen. Obwohl das Wasser kalt war, tauchte ich kurz bis zum Hals hinein, das Haar hochgebunden. Während ich mich abgetrocknete, sammelte Phanes bereits Treibholz für ein kleines Feuer. Ich half ihm beim Entzünden mit dem Feuerstein, indem ich ihm trockenes Gras reichte. Bald konnten wir uns an einer kleinen Flamme wärmen, während wir, eine Decke umgehängt, dicht nebeneinander auf dem Schlaffell saßen. Nach kurzer Zeit legten wir uns nah aneinander und ließen das Feuer herunter­brennen.

Der nächste Morgen empfing uns mit dem glühenden Licht der Hemera. Endlich schwamm ich wieder in den glänzenden Fluten des geliebten Meeres; die Freiheit des weiten Wassers der Gottheiten Pontos und Thalassa, die ich im großen Tempel schmerzlich vermisst hatte! Phanes begnügte sich mit einer Reinigung in der Gischt, bis zur Hüfte im Wasser stehend. Er hatte mir erklärt, dass er kein guter Schwimmer sei. Nach der Einweihung könne er im tiefen Wasser keine rechte Freude mehr empfinden, ihn überkäme gar ein Grauen.

Die Insel Kaptara winkte uns an diesem neuen Tag mit der Entdeckung ihrer Schönheit. Das Abenteuer wartete im Rosenrot des Morgens bereits auf uns. Der Plan war einfach: Die Göttinnen sollten uns auf unserem Weg in eine Region abseits von menschlichen Siedlungen leiten. In der freien Natur der Inselgöttin Rheia würden wir in Einklang mit ihren Geistern leben und die Offenbarung unserer weiteren Schicksale erwarten.

Ein gut ausgetretener Weg führte uns landeinwärts, parallel zur Küste, zwischen sanften Hügeln entlang. An den Hängen wuchsen nur vereinzelt große Bäume, dagegen überwiegend Sträucher, von denen uns einige mit stachligen oder klebrigen Blättern behinderten. Immer wieder kamen wir an modrigen Baum­stümpfen vorbei, die uns zeigten, dass dort Eichen abgeholzt worden waren. Ich blieb vor einem voluminösen, von Pilzen zersetzten Wurzelwerk stehen, der Dryade zu gedenken, die hier mit ihrer Behausung gestorben sein musste.

„Phanes“, rief ich meinem Begleiter empört zu, der einen anderen Eichenstumpf unter­suchte, „es darf nicht geschehen, dass Dryaden und melische Nymphen von Menschen­hand verstümmelt werden! Welches Vergehen gegen die Mutter Erde!“

„Ein furchtbarer Frevel an der Natur! Das Holz wurde bestimmt für den Schiffsbau verwendet. Kaptara benötigt die Flotte für den Handel. Ein Dilemma, denn ohne Boote wären wir auf unseren Inseln isoliert. Meine Amme hat mir erklärt, das die Psyche der Baumnynphen in dem Holz ihres Wirtes weiterlebt, wenn man aus diesem eine Figur der Höchsten Göttin schnitzt. Sicher weißt du, dass beim Fällen jedweden Baumes eine Priesterin dessen Sterben begleiten muss? Diese fertigt aus einem Teil seines Wurzelholzes eine Geistfigur.“ Bild von Rita Wetzel

„Ja, das ist mir bekannt. Die Figuren werden mit Samen in der Erde begraben, damit ein neuer Wirtbaum wächst, in dem die Psyche der Nymphe in erneuter Symbiose mit dem jungen Baum wiedergeboren wird.“

Wir sprachen noch lange über die Bäume, deren Rinde den Dryaden und Meliaden einen sicheren Schutz bieten. Wir überlegten uns, welche Sühneopfer an die Erdgöttin Gaia zum Ausgleich für das Töten ihrer Naturgeister angemessen wäre. Die Priesterinnen auf Kaptara haben eine schwerere Aufgabe als unsere Ordensdamen auf Kalliste, wo wir unsere Bäume hegten. Hier galt die Regel, nur kranken Bäume zu fällen. Nur die Achaier waren bereits mehrmals damit aufgefallen, dass sie diese missachteten. In den kleineren Waldgebieten der Mutterinsel konnte sich das Wild im Frühling zu Ehren der Göttin Kalliste ungestört vermehren. In einer kurzen Jagdsaison stellten unsere Jäger regelmäßig das ur­sprüngliche Gleichgewicht wieder her, so dass sich alle Tiere vom Wald ernähren konnten. 

Ein Ausschnitt aus der Fortsetzung, unveröffentlicht und noch nicht korrigiert, mag hier zur Debatte stehen. Zum besseren Verständnis der gezielt verfälschten Historie sollte man den Roman gelesen haben. Die Autorin ist für jede Anregung dankbar:

Die Geschichten

Der alte Seemann fuhr in diesem Jahr nicht mehr mit auf Kaperfahrt. Der Graubärtige saß in der Taverne am Hafen der Stadt Phoroneikon, im Norden der handförmigen Halbinsel Peloponnes und ehrte den Weingott. Dabei erzählte er den Kumpanen, die sich zum Trunk versammelt hatten, seine Geschichte:

„Der sagenumwobene weiße Wolf ist mir in der Nähe der ehemaligen Festung Lykosura im Südwesten unserer Halbinsel erschienen. Mittlerweile sind die Berge und Täler des gesamten Peloponnes zum Jagdrevier der mächtigen Kreatur geworden. Besonders in der Landschaft Arkadien sprechen die Leute voller Angst über den ‚weißen Räuber‘, der ihre Ziegen und Schafe anfällt. Ich aber war der erste unserer Piratenmannschaft und wohl der erste überhaupt, der dem Dämon begegnete. Hört, was sich vor mehr als drei Jahren ereignet hat:

Ich kletterte, bepackt mit einem Sack voller Beutestücke, hinauf von unserer sandigen Bucht, in der unser Piratenschiff versteckt vor Anker lag. Plötzlich bemerkte ich einen huschenden Schatten, den die volle Mondin zwischen die Konturen der Felsen warf und der blitzschnell wieder verschwand. Er schien mir lautlos zu folgen. So drehte ich mich mehrmals um, konnte aber keine feste Gestalt hinter den huschenden Schatten ausmachen.

‚Ist da jemand?‘ fragte ich, aber es blieb unheimlich still, kein Lufthauch spürbar. Die Luft stand still; kein Windhauch spürbar. Ich schlich vorsichtig weiter. Als ich gerade über einen steilen Felsen geklettert war und um eine Ecke lukte, richtete sich vor mir aus der Dunkelheit plötzlich eine riesige Gestalt auf. Erschrocken blickte ich in leuchtend rote Augen. Ein unheimliches Tier hatte mir jäh den Weg abgeschnitten und das Mondlicht streifte sein helles Fell. Es richtete sich zu dämonischer Größe auf, so dass ich schon dachte, es sei ein weißer Bär, bis die Bestie mich gefährlich leise anknurrte. Instinktiv ließ ich meinen Sack fallen.

Einen Augenblick starrten wir uns an, während ich spontan eine Kampfposition einnahm, ihn zu erlegen. Mich kann so leicht nichts schrecken, hatte ich doch beim Kapern fremder Schiffe nie einen Feind gefürchtet. Nur vor den Meeresungeheuern und dem Gewürm aus der Unterwelt graut mir. Jetzt aber brachte mich diese gottverdammte Kreatur aus der Fassung. Unheimliche Laute drangen an mein Ohr, dann gewahrte ich, dass sie meinen Namen zu bellen schien! Es war ein Wolfsdämon!

‚Beim Zeus‘, entfuhr es mir, ‚wer bist du?‘

Das Bellen erzeugte schaurige Worte in meinem Kopfe: ‚Erkennst du nicht deinen Anführer, den Lykaon? Bitte begrabt meinen Sohn, dessen Leichnam vor dem Zeusaltar liegt, denn Zeus wollte seine Opferung nicht annehmen!‘

Waren diese Worte ein böser Zauber, die meinen Geist benebelten und mich in den Irrsinn leiten sollten? Ich packte mein Schwert und zog es aus der Scheide.

‚Hinweg mit dir, böser Geist der Unterwelt! Du kannst niemals unser tapferer Piratenkönig Lykaon sein! Was hast du mit unserem Anführer und seinem Säugling gemacht? Hast du sie zerfleischt, du Untier?‘

Mit erhobenem Schwert schritt ich auf die riesige Bestie zu, ihr die Klinge ins Herz zu treiben. Da nahm der Dämon mit einer schnellen Kehrtwendung reißaus. Ich hatte ihn tatsächlich mit der Waffe und meinem Kampfesmut vertrieben!

Später erschreckte der Wolfsdämon einige Kameraden aus meiner alten Schiffsmannschaft. Niemand jedoch wagte es, sich dem Ungetüm zum Kampf zu stellen; wie ich tat. Jeder andere machte sich voller Grauen aus dem Staub. Aufgrund meiner Erzählung, verbreitete sich das Gerücht, unser verschwundener König, der tapfere Lykaon, hätte die Gestalt dieses weißen Werwolfs angenommen. Niemand hatte ihn seit dem Tage nach dem Tode seiner Sklavin, der Mutter seines Letztgeborenen, gesehen. Weiter im Landesinnern, auf dem hohen Berg Lykaion, stand schon damals der Monolithen-Altar des Zeus. In einer flachen Grube vor diesem Altar aber wurde kurz darauf die ausgeblutete Leiche seines Säuglings gefunden. Der winzige Leichnam war wie ein Opfertier geschlachtet worden! Um ihn herum fanden wir nur Wolfsspuren. Das Tier hatte diese Grube ausgescharrt und den kleinen Leichnam locker mit Blättern bedeckt. Selbstverständlich haben wir den winzigen Leichnam dann ordentlich begraben.“

Sein Redefluss wurde von einem jungen Seemann unterbrochen:

„Was bedeutet schon ein getöteter Säugling? Der Opfertod ist schließlich bei körperlichen Missbildungen notwendig und wird üblicherweise durch den Vater vollzogen.“

„Uns erschienen die Überreste des Winzlings nicht missgebildet!“

Ein zweiter Zuhörer mischte sich ein:

„Ebenso ist mancherorts noch der alte Brauch des Hinauswerfens ins Meer verbreitet. Diese Grausamkeit war bei den Weibern des einheimischen Inselvolkes verbreitet. Jede betroffene Mutter entschied in der ersten Mondphase nach der Geburt bei körperlich missgebildetem Nachwuchs über dessen Leben.“

„Egal, tot ist tot! Wie aber konnte es denn geschehen, dass ihr tapferen Männer alle vor dem Tier geflohen seid und eure alte Siedlung verlassen habt?“ warf wieder der junge Ruderer ein und er brauchte nicht lange auf eine Antwort zu warten:

„Tja, das war mysteriös! Der Wolf brachte Unheil und den Fluch der Götter über unsere Stadt. Wenngleich das Tier keinen einzigen Anwohner der kleinen Festung angefallen hat und die meisten nur seinen riesigen Schatten zu Gesicht bekamen, fürchtete man den Dämon dort schon alleine wegen seines unheimlichen Geheuls. In Phasen der vollen Mondin rannten einige Huren in den Wald, angeblich um sich von einem Halbgott befruchten zu lassen. Aber schlimmer noch gerieten einige Frauen in den Neumondnächten völlig außer sich. Sie rissen sich ihre Kleider vom Leibe und heulten, wie um dem Dämon zu antworten. Wir mussten sie bis zum Morgen anbinden. Eine Hure riss sich los und verschwand in der Dunkelheit. Dann hörten wir einen grässlichen Schrei; sie war von einem Felsen gestürzt. Man fand am nächsten Tag ihre entstellte Leiche. Daneben saß der Dämon und heulte grausig. Er rannte schnell davon, als wir Männer uns ihm bewaffnet näherten.

 Die Bevölkerung der Hafenfestung Lykosura hat kurz darauf ihre alte Ansiedlung am Meer aufgegeben und sich im Landesinneren verschanzt. Mittlerweile ist das alte Gemäuer der Festung, umgeben von den verfallenen Holzbehausungen, das bevorzugte Lager des dämonischen Räubers geworden. Das gesamte Gebiet wurde schon wieder von der Flora zurückerobert. Unter dem Schutz des Berges Lykaion, der mit seinem Tempel dem Zeus geweiht war, hat man die neue Siedlung gleichen Namens unter das Patronat des Gottes gestellt. Hier, im Zentrum Arkadiens, entwickelte sie sich bald zu einer florierenden Stadt, in der jetzt die Frau des verschollenen Königs Lykaon, die Mutter seiner drei Söhne, herrscht.“

„Ist es nicht deine Verwandtschaft?“

„Ja! Die Königinmutter ist meine eigene Schwester und ich habe dafür gesorgt, dass unser jüngster Bruder an ihrer Seite die Stadt beherrscht, solange ihr Söhne, die Nachfolger des Königs, noch nicht erwachen sind. Außer mir war sie die einzige, die den Dämon nicht fürchtete und sie lachte gar über das ‚harmlose Vieh‘. Noch vor Einbruch des ersten Winters flüchtete man unter ihrer Führung aus dem Kernrevier des weißen Wolfs. Unser Bruder, ein beinahe so furchtloser Seeräuber wie ich, blieb an ihrer Seite. Mittlerweile hat das Weib eine größere Macht als der König vor ihr je hatte.“

„Wenig Gutes wird über diese körperlich entstellte Königin der neuen Stadt Lykosura berichtet. Sie soll neun Priesterinnen in ihren Diensten haben, die mit böser Zauberei vertraut sind. Ihr erstgeborener Sohn, der wie der Vater Lykaon genannt wird, soll mit seinen sieben Jahren bereits ein grausamer Junge sein,“ wurde der Bruder der neuen Königin und Onkel des Königssohns von einem Trinkkumpanen unterbrochen.

„Das ganze Gerede über Zauberei ist sicher übertrieben. Ich habe ich die Priesterinnen gesehen. Sie sind alle zwar bereits alt und hässlich, scheinen jedoch großen Einfluss auf die Königin zu haben. Es ist wohl nicht gut, wenn Weiber die Königsmacht ausüben. Ich selbst trennte mich in ersten Jahr ihrer Herrschaft von meiner Schwester. Mit der übrigen Piratenmannschaft des verschollenen Königs Lykaon habe ich hier zum Glück einen neuen Unterschlupf am Meer gefunden. König Apis, dem wir für seinen Schutz einen Anteil unserer Beute schulden, ist uns wohl gesonnen. Er lädt mich zu all seinen Festen.“

„So habt ihr sicher mit zum Aufstieg dieser alten Stadt Phoroneikon beigetragen. Ich bin zum ersten Mal im Nordosten der Peloponnes und war vom Reichtum dieser Hafenstadt beeindruckt“, schmeichelte ein Fremder.

So kam eine laute Diskussion in Gang, bei der es um Erfolge bei Beutezügen ging. Die Seeräuberei der Achaier an den Schiffen der reichen Inseln hatte deren alte Handelsmacht eingeschränkt und hier eine neue Machtmetropole erblühen lassen. Mit Verachtung sprach man von der traditionellen Weiberherrschaft der eingeborenen Inselvölker und deren Hauptinseln Kaptara und Kalliste. Als die Männer kaum noch lallten, machte sich ein welkes altes Weiblein bemerkbar, welches, neben einer leeren Höhle, nur noch ein Auge besaß. Es bildete mit den Händen, den gestreckten spitzen Fingern vor ihrem Bauch eine Raute, das Zeichen der Nyx, der Vernichtung und des Todes. Die Anhänger der Nyx bilden eine mörderische Sekte und bringen ihrer Göttin massenhaft Vögel zum Opfer dar. -Die Alte hatte bisher still in einer Ecke gesessen und verdünnten Wein getrunken. Im passenden Moment ergriff sie das Lügenwort:

„Wollt ihr wissen, welche furchtbare Grausamkeit im letzten Krieg von Kriegern dieser Großmacht auf Kalliste begangen wurde? Meine Schwester Klymene und ihre Familie gehörte zu den Opfern.“

Alle wandten sich ihr neugierig zu und forderten schaudernd zur Rede auf. Prompt erhob sie wieder ihre rauhe Stimme: „Alle reichen Handelsmächte waren miteinander verbündet und wollten verhindern, dass unser stolzes Volk, das wegen der Dürre aus der Heimat im fernen Osten ausgewandert war, hier Fuß fassen konnte. Allen voran die Phönizier, aus dem Dreierbund Byblos, Sidon und Tyros, mit dem verbündeten Inselvolk von Kaptara und Kalliste, wollten sie weiter im Handel mit Aigypten ihre Vormacht behaupten. Unter Kommando der Phönizier griffen die Feiglinge unseren Stützpunkt ohne Kriegerklärung an, denn ihre Könige und Königinnen hatten sich gegen uns verschworen. Die Götter waren aber auf unserer Seite und der große Held Pelasgos, ehrenhafter Gatte meiner Schwester, warnte uns. Es waren die Eltern des verschollenen Königs Lykaon; ihr Stamm lebte damals auf der reichen Insel Kalliste.

Pelasgos war mit seinem schnellen flachen Schiff, ein paar Tage vor der Flotte, in der Festung auf dem Peleponnes angekommen. Diese alarmierten auch die Wächter unseres zweiten Stützpunkts, der auf dem Land direkt gegenüber dem hiesigen Ausläufer der Halbinsel liegt. Unsere Kriegsführer trommelten in Windeseile alle Leute zusammen, stachen mit sämtlichen Schiffen in See und manövrierten sich in eine nahe gelegene Bucht, die als Hinterhalt dienen sollte. Ein paar, bei den Festen harrende Kämpfer, hängten Segelfetzen an Treibholz, um von Ferne die Takellage einer vor Anker liegenden Flotte vorzugaukeln.

Kurz darauf segelte die phönizische Marine tatsächlich in voller Fahrt vor dem Wind heran, um die vermeintlichen Schiffe der Angegriffenen in den natürlichen Hafenbecken vor deren neuer Siedlung zu versenken. Noch bevor sie die Attrappen erkannten, waren sie bereits geliefert. Die Meeresenge zwischen Peleponnes und Festland wurde ihnen zur tödlichen Falle, denn die Ruderer unserer Achaier waren plötzlich hinter ihnen. Sie trieben die Angreifer immer tiefer in die Meeresenge, in der sie sich beim Wenden gegenseitig behinderten. Unsere Leute enterten die meisten Fahrzeuge der feige Feinde. Sie konnten die Schwächlinge komplett besiegen. Die glorreiche Seeschlacht endete für die Niederträchtigen mit einem vernichtenden Verlust. Nur fünf Schiffe ließen ihre Flotte im Stich und konnten bis in den Hafen der Stronghyle der Insel Kalliste fliehen. Die schwer geschlagene Streitmacht der Phönizier ließ ihre Verletzten auf Kalliste behandeln, die dort im Hospital überwinterten. Auf dieser Insel gab es jedoch bereits eine blühende Siedlung unseres Volkes unter der Führung unseres tapferen Pelasgos. Zwischen den Feinden, in deren Hafenstadt, waren diese nicht mehr sicher und der Stamm fühlte sich bedroht.

Bereits im Sommer nach Ausbruch der Kämpfe mussten sich daher unsere Leute, die nicht in den Krieg gezogen waren, auf die andere Seite des Berges Pipituna in ein provisorisches Zeltlager zurückziehen. Im späten Herbst endlich kamen die Krieger, angeführt von Pelasgos, als Sieger mit reicher Kriegsbeute zurück.

Den ganzen Winter über wurden die Tapferen in ihrem Lager isoliert und bedroht. Man versuchte sie auszuhungern, dabei standen sie unter ständiger Beobachtung der Küstenwache. Jede Friedensverhandlung wurde abgelehnt.

Das schlimmste Verbrechen an unserem Volk aber geschah gleichem Jahr, als die Insel Kaptara alle dort lebenden Achaier mit ihren Familien gefangennahm und in vielen überfüllten Schiffsladungen nach Kalliste brachte; immer mehr Gefangene, viele davön Frauen und Kinder, wurden wie die wilden Tiere westlich von Arepirena in riesige Konzentrationslager eingepferscht. Nachdem die Mondin sich halb geleert hatte, brachten einheimische Priesterinnen erstmals 60 Leute gefesselt aus diesem Hungerlager auf ihre heilige Insel und opferten die bereits Entkräfteten ihrer Muttergöttin. Es folgten täglich mmer größere Massen und man warf insgesamt 6000 Achaier in den Feuerschlund des Vulkans. – Entsetzt hörte Pelasgos von diesen Greueltaten und sein Stamm entsandte drei Frauen zu Verhandlungen in die Hauptstadt Arepirena. Diese Gruppe, deren Sprecherin die Gattin des Pelasgos, Klymene, war, kam nie mehr zurück. Nach ein paar Tagen wurden deren drei verstümmelte Köpfe den Hang hinunter ins Tal gerollt, wo die Zelte standen. Man hatte ihnen zuvor die Zungen herausgeschnitten, die Ohren abgeschlagen und die Augen ausgestochen. Die restlichen Körper hat man zerhackt und die Teile auf die Felder gestreut, zum Opfer für die grausame Göttin der Insel. Niemand hatte auf das Flehen der jungen Frauen um Gnade für ihr Volk Erbarmen gezeigt.

Aber die Grausamkeiten der Insulaner gegen unser Volk nahm kein Ende. Bevor man im Frühjahr auf Schiffen die restlichen Frauen und Kinder in Sicherheit bringen konnte, gab es einen feigen Angriff auf das Lager. Zuerst stürzten Gerölllawinen herunter, die der Feind erzeugt hatte. Dann wurde das Lager in Brand gesteckt und Frauen wie Kinder darin verbrannt. Wer sich herauskämpfen konnte, wurde brutal niedergestreckt. Alle Männer wurden getötet und ihre Leichen zerstückelt. Einer der Achaier des Stammes wurde später ein großer Priester und hat das Kallistevolk ob dieser Grausamkeiten angeklagt. Es war der gute Heurytheus, der den Brand des Lagers als kleiner Junge, verschacht in einer Erdmulde, überlebte. Er wunde später von anderen Achaiern in den Bergen der Insel gefunden, wo er sich versteckt und lange Zeit alleine gelebt hatte. Aber sein Glück konnte, zwischen einer Bevölkerung mit wahnsinnigen Weibern, nicht von Dauer sein. Viele Jahre später wurde dieser starke Priester im Tempel der Königin hinterrücks mit einer steinernen Doppelaxt erschlagen.

Ein anderer Junge mit Namen Lykaon, erster Sohn des Pelasgos und späterer König, konnte sich auf einem Schiff retten und der mörderischen Insel entkommen.“

„Der tapfere Lykaon war mein Kapitän! Er erzählte nie von seiner Mutter, nur vom Tod des Vaters und des kleinen Bruders sprach er – wenn er viel getrunken hatte,“ unterbrach der alte Pirat die Geschichte.

„Der zweitgeborene Sohn des Pelasgos war auch ein Opfer der Bestien. – Das war der Untergang eines starken achaischen Stammes als gemeine Vergeltung für die Niederlage der Flotte, durch die rechtzeitige Warnung des großen Pelasgos. Die Kinder der Kalliste sind niederträchtige Feiglinge, ein Volk unter Weiberherrschaft, das keine Gnade verdient hat.“

Sobald die Alte ihre Rede beendet hatte, wurden Stimmen laut. Männer verlangten wütend nach Rache. Man wollte das gesamte Volk blutig auslöschen und einige wären am liebste gleich losgestürmt. Die üble Gestalt hatte vor alllem mit der Verbreitung der Lügengeschichte über den Feuertod von 6000 Achaiern wieder einmal ihr Ziel erreicht. Es gab nämlich in ihrem Volk eine göttliche Prophezeiung über einen solchen Feuertod und daß die Achaier anschließend hierzulande durch Kriegsgewinn Macht und Reichtum erlangen würden. Die Hetzerin verschwand nun unauffällig. Es war eine der neun Dämoninnen, die sich als Priesterinnen ausgaben und zu Diensten der Königin von Lykosura wirkten.

Aber: „Der Weg endet mitten in der Petersilie!

The Day Dream - Dante Gabriel Rossetti

Thumbnail 4:19 The Smiths – The Hand That Rocks The Cradle (1983 – Live At Hacienda)

The Troggs - Wild Thing (Live Marquee Club 1973)2:56 The Troggs – Wild Thing (Live Marquee Club 1973)

Geschrieben von sara-tempel am 30. Mai 2012 | Abgelegt unter | Keine Kommentare

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